Die Anfangsgedanken:

„Bunt ist meine Lieblingsfarbe”

 

dieses Zitat würden wir spontan jemandem wie Ole Christiansen, dem Erfinder der Legosteine, oder ähnlichen Provenienzen zuordnen

als dem großen Walter Gropius, Direktor des Bauhauses, mit dessen Werk und Lehre wir gemeinhin Klarheit, Sachlichkeit, Strenge und formale Zurückhaltung verbinden. Vor unserem Auge sehen wir streng gerichtete Formbezüge und eine Bevorzugung klarer, möglichst monochromer und an den Materialqualitäten orientierter Farben, hauptsächlich Weißes, Metallisches, Hölzernes.

Dass dies ein Vorurteil ist, deutet nicht nur das Zitat an, sondern zeigt auch die Verwendung von Farben in Architektur- und Designdetails der 1920er Jahre, die bis heute stilprägend sind.

So zeigt selbst das berühmte Direktorenzimmer von Gropius solche Farbdetails, jedoch in einer Dezenz, dass von „bunt” nicht die Rede sein kann.

Was spricht gegen Buntheit?

Die zurückhaltende Verwendung von Farbe oder der bewusste Verzicht auf Farbigkeit, gar der Rückzug auf ein neutrales Weiß lässt Formqualitäten im Wechselspiel von Licht und Schatten deutlicher erscheinen, betont die Einheit der Gestaltung und evoziert das Gefühl von Klarheit in der Reduktion, ein Lebensgefühl, das allgemein mit intellektueller und kultivierter Haltung verbunden wird: Walter Gropius eben…

Weiß als „background” prägt bis heute die Welt der Repräsentation von Dingen, die tatsächlich mit Farbigkeit, Farbklängen und Farbdissonanzen argumentieren: Bis heute gilt der „White Cube” als klassisches und korrektes Schema des Ausstellungsraumes in Galerie und Museum.

Und Weiß (auch Analogien wie (Hell)Grau, Beige…) beherrscht unsere Vorstellung von der klassischen Reinheit. Wie schon Goethe nehmen wir nicht nur in der unmittelbaren Anschauung vor Ort sondern auch in unserem Bildvorrat die antike Architektur als eine edle Welt der klaren Reinheit wahr: In den meisten Darstellungen antiker, vor allem griechischer Bauwerke, sehen wir die weißen Marmorsäulen und Tempelansichten und verdrängen kräftig nicht nur das Vorhandensein von aufgetragenem Putz sondern vor allem dessen starkfarbige Bemalung; so ausgeprägt, dass Schüler, mit solchen Rekonstruktionen konfrontiert, von „knallbunt” sprechen und ihren Missmut über derartige vermeintliche Verballhornungen darin münden lassen, dass sie von „Jahrmarktästhetik” sprechen.

In unserem Alltagsverständnis dagegen verbinden wir Buntsein, Vielfarbigkeit, Multicolour mit Lebensfreude: Über den Umweg über Kindlichkeit, Expressivität, Lautstärke, Hippietum, Südländisches, letztlich Überraschendes und Einzigartiges im Vielklang. Wo es bunt ist, ist es aufregend, aufreizend, pulsierend.

Farbigkeit in ihrer Vielfalt suggeriert aber auch Individualität und Einzelerscheinung. Den Dingen in ihren Funktions- und Formwerten wird das große Spektrum der Gestaltungsmöglichkeiten der Farbe hinzugegeben. Farbwerte, Farbfamilien, Farbmengen, Farbintensitäten, Farbkontraste und Farbharmonien: Eine nahezu unbegrenzte Option, mit Farben die Wahrnehmung der Dinge zu verändern; zu akzentuieren, in Gleichklang zu bringen, in Kontrast zu setzen…

Eigentlich eine Maßnahme des Ornamentalen, den Dingen und Architekturen von außen angebrachtes Mäntelchen der Gestaltung. Und dennoch so viel mehr. Die Kontaktaufnahme zu den Nutzern, den Menschen, die sich in und mit den Dingen bewegen, ihre Assoziationen, Ihre emotionalen Bezüge, ihre Kommunikationen, insgesamt ihre Verhältnis zu den Dingen wird auch durch deren farbige Erscheinung geprägt.

Mit den Lerngruppen innerhalb unseres Verbundes werden wir den Aspekt „Farbe“ im beschriebenen Spannungsfeld als Fokus nutzen, um an den jeweiligen Betrachtungsobjekten eine Auseinandersetzung mit Gegebenem und Sich-Veränderndem zu führen.

Welches ist das ursprüngliche Erscheinungsbild, was hat sich im Laufe der Zeit verändert -und warum ist dies geschehen – und was ist schließlich die Position der Jugendlichen zu Fragen des ursprünglichen und des heutigen Erscheinungsbildes.

Dabei gilt es jedoch nicht nur mit der großen Gegenüberstellung von Farblosigkeit und „anarchistischem” Farbgebrauch zu argumentieren: „Farbe” öffnet in allen Vorhaben der beteiligten Verbundschulen das Feld für Erkundungen, Diskussionen und eigenen Versuchen zum weiten Bereich der Gestaltung in allen seinen baulich relevanten Bereichen und gleichzeitig über die Erscheinung die Funktionen und soziale Bedeutsamkeit der jeweiligen Untersuchungsobjekte zu erschließen.

 

Das John-Lennon-Gymnasium wird sich mit einem Leistungskurs im Fach Kunst ausgehend vom schulnahen Berliner Alexanderplatz (dem Vorjahresschwerpunkt) mit dem Bestand und dem Mythos der Vorwendeerscheinung im Bezirk Mitte beschäftigen und hinter dem Erscheinungsbild der historischen baulichen Substanz, im Fokus die farbliche Gestaltung, die Prozesse einer Bewahrung oder Veränderung erkunden: „From grey to grell?“.

Ziele der Weiterarbeit vom Alexanderplatz aus sind sowohl die Orientierung auf das Ensemble der „Stalinallee” als auch – auf der anderen Seite ¬– der Bereich des ehemaligen Jüdischen Scheunenviertels, das nahezu gänzlich der fröhlich-bunten Edelkonsumwelt „anheimgefallen” ist.

Eine eigene individuelle, künstlerische Projekterarbeitung mit Versuchen und Variationen zum Farbeinsatz wird die Schülerinnen und Schüler dazu bringen, sich eine eigene Position zu erschließen.

 

Die Bornholmer Grundschule hat als Untersuchungsobjekt das schulnahe ehemalige Botschaftsviertel der DDR ins Visier genommen. Hier zeigt sich die Auseinandersetzung zwischen dem historisch verbindlichen Ensemble und seiner Transformation im Zuge der Privatisierung ganz besonders deutlich und für die Schülerinnen und Schüler (die z.T. in diesem Viertel wohnen) zugänglich in der Auflösung des einheitlichen Gestaltungseindrucks durch die Einführung von individualisierenden Farbvariationen – auch hier ist die Farbe nur ein markantes Merkmal einer umfassenderen (Um)Gestaltungsdiskussion, die jedoch auch hier mitten in die Fragen des Denkmalschutzes und seines Bedingungsfeldes führt.

 

Die Nürtingen Grundschule wird sich ebenfalls im schulischen Bezugsfeld bewegen: Berlins traditionell buntester Bezirk Kreuzberg zeigt seit den bewegten Jahren der Hausbesetzungen und der Etablierung alternativer Szenelebensformen, wie dem Wunsch nach dem Bewahren historischer Bausubstanz in einem tief verstandenen Kulturerbeverständnis eine quirlige und hochgradig individualisierte Gestaltungsform in ständiger Neu- und Weiterentwicklung zu keinem Widerspruch gereicht. Wie werden sich hier Schülerinnen und Schüler einer neuen Generation verorten? Zerstört, verändert oder ergänzt etwa eine virulente Graffitikultur das Bewusstsein vom baulichen Erbe des alten Stadtteils? (Das Künstlerhaus Bethanien z.B., ein denkmalgeschütztes Ensemble in unmittelbarer Nachbarschaft der Nürtingen-Schule, unterstützt die Graffiti-Bewegung mit einer kontinuierlichen Ausstellungs- und Tagungsbegleitung.)

Die Schülerinnen und Schüler eines Wahlunterrichtskurses werden sich als konkretes Projekt in ihrem Kiez des Mariannenplatzes/Bethaniens mit der Rekonstruktion und der Neuerfindung farblicher Erscheinungsformen einzelner Häuser forschend und gestaltend beschäftigen.

 

Das Gottfried-Arnold-Gymnasium in Perleberg wird dem Berliner Blick auf seine Fragestellungen zum baulichen Erbe, dessen Erscheinungsformen traditionell und aktuell, einen weiteren Blickwinkel hinzufügen. Auch hier ist der Untersuchungsgegenstand ein Bauensemble: Die „Koloniestraße” kennzeichnet einen (auch formal) geschlossenen Siedlungsbereich aus dem 18. Jhdt., der ursprünglich außerhalb der Stadt gelegen lange Zeit ein eigenes Milieu bewahrt hat. Dieses in seiner historischen Grundlegung zu erkunden, den Versuch, über eine gemeinsame architektonische und farbliche Erscheinung, eine gemeinschaftliche Identität zu bewahren, und die Untersuchung zu führen, wieviel sich in der Erscheinung und im kommunalen Gemeinschaftsempfinden durch die Zeitepochen bis heute erhalten hat, wird sich eine Gruppe von Oberstufenschülern vornehmen, die zum Abschluss ihres Seminarkurses jeweils eine wissenschaftspropädeutische Abschlussarbeit zu einem eigenen Themenschwerpunkt verfassen werden.